Gründung eines Europäischen Betriebsrates
Die Errichtung eines EBR erfordert Engagement und langen Atem. Sie setzt den Abschluss einer europaweiten Betriebsvereinbarung ("EBR-Vereinbarung") voraus. Hierzu wird in einem ersten Schritt zunächst ein Besonderes Verhandlungsgremium (BVG) gebildet, das sämtliche Details der EBR-Vereinbarung mit der europäischen Konzernzentrale ("zentrale Leitung") aushandelt.
→ Überblick über Rechtsgrundlage und Aufgaben des BVG
Diese Verhandlungen müssen innerhalb von drei Jahren abgeschlossen sein, wobei die Frist mit dem Antrag auf Bildung des BVG beginnt. Um sich nicht selbst unnötig unter Zeitdruck zu setzen, sollten Betriebsräte zuvor eine gemeinsame Strategie ausgearbeitet haben. Für die erste Kontaktaufnahme mit Arbeitnehmervertretern in anderen Ländern sind die Reise- und Übersetzerkosten vom Arbeitgeber zu tragen, dies haben deutsche Arbeitsgerichte in der Vergangenheit mehrfach entschieden. Nach Bildung des BVG sind grundsätzlich alle anfallenden Kosten von der zentralen Leitung des Mutterunternehmens zu übernehmen. → Überblick über einschlägige Gerichtsentscheidungen
Demokratische Wahlverfahren sicherstellen
Um die Arbeit eines Europäischen Betriebsrates auf eine rechtssichere Grundlage zu stellen, ist bei der Delegiertenwahl höchste Wachsamkeit geboten. Dies gilt nicht nur für die turnusmäßigen Wahlen zum Europäischen Betriebsrat, sondern beginnt bereits vor der EBR-Gründung. Alle Mitglieder des BVG müssen ihr Mandat auf einer demokratischen Grundlage erhalten. Hier zwei Problemfälle, die immer wieder auftreten können:
- Delegierte aus Großbritannien werden von einem "Forum" entsandt, das vom Arbeitgeber als Ersatz für eine vollwertige Arbeitnehmervertretung installiert wurde oder um die Anerkennung einer Gewerkschaft zu vermeiden. Sollen Betriebsräte aus Kontinentaleuropa dies akzeptieren?
- Was kann man tun, wenn es in Ländern Mittel- und Osteuropas keine funktionierende Struktur der Arbeitnehmervertretung gibt und Delegiertenmandate unbesetzt bleiben? → siehe Beispiel
Die Regeln zur Delegiertenwahl für alle EU-Länder hat der Europäische Metallgewerkschaftsbund (EMB) in einem Überblick zusammengefaßt. → Länderüberblick zur Delegiertenwahl
Welche juristischen Konsequenzen hat die fehlerhafte Besetzung eines BVG? Mit dieser Grundsatzfrage beschäftigten sich bereits Gerichte in Deutschland. → Weitere Informationen
Geschäftsordnung vermeidet juristische Risiken
Nicht nur Europäische Betriebsräte, auch Besondere Verhandlungsgremien können sich eine interne Geschäftsordnung geben. Besonders wichtig ist es, die korrekte Durchführung von Beschlüssen zu dokumentieren, z. B. bei drohenden Gerichtsverfahren. Die Geschäftsordnung des BVG im japanischen Pharmakonzern Takeda kann als Muster dienen. → Die Geschäftsordnung des BVG von Takeda
Manche Arbeitgeber wollen EBR-Rechte begrenzen
Ist der Antrag auf Bildung des BVG ordnungsgemäß gestellt, kann der Arbeitgeber die Gründung eines Europäischen Betriebsrates nicht mehr vermeiden. Die unterschiedlichen Sichtweisen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite treffen dann in den Verhandlungen aufeinander. Die möglichen Positionen der Konzernleitung beleuchtete ein interessanter Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Schon der Untertitel ("Durch Verhandlungen können gesetzliche Vorgaben begrenzt werden") weist darauf hin, wie eine EBR-Vereinbarung unterhalb der gesetzlichen Mindestvorschriften abgeschlossen werden kann. → Weitere Informationen → Ein Beispiel aus Frankreich
Scheitern der Verhandlungen
Die Verhandlungszeit beträgt drei Jahre und beginnt an dem Tag, an dem zwei Länder den schriftlichen Antrag stellen. Innerhalb von sechs Monaten muss das BVG einberufen werden. Verzögert die zentrale Leitung die Einberufung des BVG oder wird innerhalb von drei Jahren keine Vereinbarung erzielt, dann sind die Verhandlungen gescheitert. Es gelten in diesem Fall automatisch die subsidiären Vorschriften, d. h. es wird ein EBR "kraft Gesetz" gebildet. Beispiele: → Lincoln Electric → Groupon → Magna
Unser Grundlagenseminar: Die EBR-Schnuppertage |
Unsere Unterstützung als Sachverständige beinhaltet:
- Beratung über das Verfahren zur EBR-Gründung
- Informationen über die EBR-Richtlinie und nationale Umsetzungsgesetze
- Recherchen über und Kontaktaufnahme mit ausländischen Niederlassungen
- Beantragung von EU-Geldern im Vorfeld der EBR-Gründung
- Sachverständigentätigkeit für das Besondere Verhandlungsgremium
- Entwicklung eines Vereinbarungsentwurfs
- Unterstützung während der Verhandlungen mit dem Arbeitgeber
Ein Beispiel aus unserer Arbeit
Deutsche und französische Arbeitnehmervertreter von Takeda, des größten Pharmaunternehmens in Japan, hatten die Initiative zur Errichtung eines Europäischen Betriebsrates gestartet. Nach einer Schulung des deutschen Betriebsrates im Juli 2008 in Aachen trafen sich mit unserer Unterstützung französische und deutsche Arbeitnehmervertreter im September 2008 in Paris, um die Bildung des BVG vorzubereiten. Die Mitglieder des BVG bestellten schließlich in der konstituierenden Sitzung im Januar 2009 in London Dr. Werner Altmeyer zum Sachverständigen. Die Verhandlungen konnten im Mai 2011 erfolgreich abgeschlossen werden.
→ Bericht in der Fachzeitschrift "Arbeitsrecht im Betrieb" → Interview mit dem BVG-Vorsitzenden
Weitere Beispiele aus jüngerer Zeit:
→ Stark → Vesuvius → Bose → ICON Clinical Research → Hill-Rom → Frosta