Europäische Gesellschaft (SE)


Seit 2004 können Unternehmen, die in mehreren EU-Ländern tätig sind, zwischen den nationalen (z. B. deutschen oder französischen) Rechtsformen und einer Europäischen Gesellschaft ("Societas Europaea" = SE) wählen. Neben der EU-Verordnung zur SE gibt es eine EU-Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE. Die Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsrat der SE und die Regeln für einen SE-Betriebsrat (so die Bezeichnung für den Europäischen Betriebsrat in der SE) sind in jedem Unternehmen zwischen dem "Besonderen Verhandlungsgremium" (BVG) der Arbeitnehmer und der zentralen Leitung auszuhandeln. Kommt innerhalb von sechs Monaten keine SE-Beteiligungsvereinbarung zustande, gilt eine gesetzliche Auffangregelung.

Häufig gestellte Fragen zur Europäischen Gesellschaft (SE)
Die Verordnung zur Europäischen Gesellschaft (SE)
Die Richtlinie zur Mitbestimmung in der Europäischen Gesellschaft (SE)


SE-Umwandlungen spielen außerhalb von Deutschland kaum eine Rolle

In Deutschland werden SE-Umwandlungen oft zur Flucht aus der Mitbestimmung missbraucht. In Frankreich sind sie Teil einer Internationalisierung der Unternehmensstruktur, vor allem in IT-nahen Sektoren. Zahlenmäßig belegt Frankreich mit etwa 15% den zweiten Platz nach Deutschland, auf das mehr als 80% entfallen. Alle anderen EU-Länder spielen nur eine sehr geringe Rolle.

Das deutsche Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (ab Seite 3686)
Das französische SE-Umsetzungsgesetz (in deutscher Übersetzung)

 

Checklisten für SE-Verhandlungen

Nach der Entscheidung des Arbeitgebers, die Rechtsform SE zu wählen, ist zunächst ein Besonderes Verhandlungsgremium (BVG) zu bilden. Dieses setzt sich aus Arbeitnehmervertretern aller EU-Länder zusammen, in denen das Unternehmen Betriebe oder Niederlassungen unterhält. Die Wahlverfahren sind in jedem Land anders geregelt und orientieren sich an den Regeln für Europäische Betriebsräte.
Weitere Informationen zum Wahlverfahren

Für die Verhandlungen gibt es eine Reihe von Checklisten, die als Hilfestellung dienen können:

Aufnahme der Verhandlungen und Zusammensetzung des BVG
Inhalte einer SE-Vereinbarung inklusive Mustertext
Die Auffangregeln beim Scheitern der Verhandlungen
Fallbeispiel: Verhandlung einer SE-Vereinbarung inklusive Checkliste

 


SE-Verhandlungen mit Unterstützung von Beratern der EWC Academy

Für den deutschen Konzernbetriebsrat kam die Ankündigung aus heiterem Himmel: der Hamburger Klebstoffhersteller tesa wandelt sich in eine SE um. Am 24. April 2008 beschloß dies der Aufsichtsrat gegen die Stimmen der beiden Arbeitnehmervertreter. In Deutschland beschäftigte tesa zu dieser Zeit etwa 1.950 Menschen und ab 2.000 hätte dort ein paritätischer Aufsichtsrat gebildet werden müssen.

Am 3. Dezember 2008 stimmte das Besondere Verhandlungsgremium (BVG) für die Annahme einer SE-Vereinbarung, die in den Wochen zuvor unter erheblichem Zeitdruck ausgehandelt worden war. Bei einer SE-Umwandlung hat das BVG nur sechs Monate, um alle Fragen zu klären (nicht drei Jahre, wie bei der Gründung eines Europäischen Betriebsrats). Die tesa-Vereinbarung ist beispielgebend für ein deutsches Unternehmen mit knapp unter 2.000 Arbeitnehmern und einer Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat, so der Europäische Gewerkschaftsbund in einer Pressemitteilung. Seit dem 30. März 2009 firmiert tesa nun als SE.

Interview mit dem Vorsitzenden des BVG
Presseerklärung des Europäischen Gewerkschaftsbundes zur tesa-Vereinbarung
Bericht in der Fachzeitschrift "Arbeitsrecht im Betrieb"
Analyse der SE-Vereinbarung im Online-Portal Eurofound

Foto Am 8. Juni 2009 wurde für die 2.600 Arbeitnehmer des bayerischen Metallunternehmens Warema am Sitz in Marktheidenfeld nach nur zweimonatigen, konstruktiven Verhandlungen eine SE-Vereinbarung unterzeichnet (Foto). Es bleibt bei einer Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, aber die Zahl der Sitze wird erhöht. Erstmals ermöglicht eine SE-Vereinbarung deren Urwahl durch die gesamte europäische Belegschaft.

Der neue Europa-Betriebsrat verfügt über Rechte, die weit über die gesetzlichen Auffangregeln hinausgehen. Zudem wird einmal jährlich in allen Niederlassungen, in denen es noch keinen Betriebsrat gibt, eine Belegschaftsversammlung durchgeführt. Der Europa-Betriebsrat hat ein Initiativrecht für transnationale Betriebsvereinbarungen und kann bei Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber eine Schlichtungsstelle anrufen, die der deutschen Einigungsstelle nachgebildet ist.
Das Familienunternehmen ist in fünf europäischen Ländern vertreten.

Presseerklärung der IG Metall
Pressebericht über die SE-Vereinbarung
Bericht in der Fachzeitschrift "der betriebsrat"
Analyse der SE-Vereinbarung im Online-Portal Eurofound


Weitere SE-Verhandlung mit Unterstützung von Beratern der EWC Academy

Seit dem 8. Oktober 2010 firmiert die 1867 in Hamburg gegründete Prüfgesellschaft Germanischer Lloyd (GL-Gruppe) als Europäische Gesellschaft (SE). Zuvor war am 13. August 2010 in der Hamburger Hafencity eine SE-Vereinbarung unterzeichnet worden (Foto). Dem Besonderen Verhandlungsgremium gehörten 32 Delegierte aus 25 Ländern an. Es hatte sich erst im Februar 2010 konstituiert und war durch drei Sachverständige der EWC Academy beraten worden.

Wie in vielen anderen SE-Vereinbarungen wurde die Anzahl der Betriebsratsmitglieder begrenzt. Der SE-Betriebsrat hat nur neun Mitgliedern: vier aus Deutschland, zwei aus dem Vereinigten Königreich und drei Regionalvertreter für die übrigen Länder. Eine Besonderheit sind die jährlich stattfindenden Regionaltreffen. Daran nehmen Arbeitnehmervertreter aus allen Ländern teil, die nicht direkt im SE-Betriebsrat vertreten sind. Der SE-Betriebsrat tagt zweimal jährlich und wählt einen dreiköpfigen geschäftsführenden Ausschuss. Für Länder mit kleiner Belegschaft wurde ein besonderer Schutz in die Vereinbarung aufgenommen. Einen Europäischen Betriebsrat hatte es zuvor in der GL-Gruppe noch nicht gegeben.

Pressemitteilung des Unternehmens

 

Literaturempfehlungen

Die 2004 in Kraft getretenen Regelungen zur Europäischen Aktiengesellschaft wurden nach einem 40jährigen Diskussionsprozess 2001 vom EU-Ministerrat verabschiedet. Das Buch zeichnet die Entstehungsgeschichte der Rechtsform nach und analysiert dabei insbesondere die Regelungen zur Mitbestimmung.

Gunther Mävers
Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Europäischen Aktiengesellschaft
Baden-Baden 2002

Nähere Informationen      → Online-Bestellung


Das Europäische Gewerkschaftsinstitut (ETUI) in Brüssel legte im Frühjahr 2006 eine Broschüre zur Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat bzw. Verwaltungsrat und zur Umsetzung der SE-Gesetzgebung in 25 EU-Ländern vor.

Norbert Kluge/Michael Stollt (Hrsg.)
Die Europäische Aktiengesellschaft (SE)
Download der Broschüre


Seit Februar 2011 liegt die fünfte, überarbeitete Auflage eines Leitfadens der Hans-Böckler-Stiftung vor. Er enthält einen Überblick über Gründungsformen der SE, die Beteiligung der Arbeitnehmer und den Ablauf der Verhandlungen über eine Mitbestimmungsvereinbarung. Abgedruckt ist der komplette Text der SE-Vereinbarung der Allianz (siehe Bericht weiter oben). Neu in der jetzt vorliegenden Broschüre sind Anmerkungen zur EU-Fusionsrichtlinie, die die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften regelt und 2006 in deutsches Recht umgesetzt wurde (siehe Bericht weiter unten).

Roland Köstler
Die Europäische Gesellschaft
Download der Broschüre

 

Foto Im Mai 2012 ist dieses Handbuch des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) in deutscher Übersetzung erschienen. Es beleuchtet in fünf Kapiteln verschiedene Aspekte, die für eine SE-Vereinbarung wichtig sind. Aufgelistet sind eine Reihe Tipps und Tricks, die ein Besonderes Verhandlungsgremium vor und während der Verhandlungen beachten sollte. Beschrieben wird auch, was eine innovative und gute SE-Vereinbarung ausmacht.

Michael Stollt/Elwin Wolters
Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Aktiengesellschaft (SE)
Ein Handbuch für die Praxis
Weitere Informationen und Online-Bestellung

 

Foto Im April 2018 ist in dritter Auflage ein Kommentar zur Mitbestimmung in der Europäischen Gesellschaft (SE), in der Europäischen Genossenschaft (SCE) und bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen erschienen. Es gibt zwar eine Vielzahl vergleichbarer Kommentarliteratur, aber dieses hier ist das einzige Standardwerk, das aus der Perspektive der Arbeitnehmerseite geschrieben ist. Neben einer Kommentierung der gesetzlichen Auffangregelungen sind auch typische Inhalte von SE-Beteiligungsvereinbarungen aus der Praxis zu finden.

Bernhard Nagel/Gerhild Freis/Georg Kleinsorge
Arbeitnehmerbeteiligung nach europäischem Recht
Online-Bestellung

 

Flucht in ausländische Rechtsformen?

Als Folge einiger Urteile des Europäischen Gerichtshofes zur Niederlassungsfreiheit wird immer wieder diskutiert, deutsche Unternehmen könnten in ausländische Rechtsformen flüchten, um Mitbestimmung im Aufsichtsrat zu vermeiden. Während eine 2006 vorgelegte Studie der Hans-Böckler-Stiftung diese Befürchtungen noch nicht bestätigte, zeigt eine Studie von 2011 einen starken Anstieg der Fälle.

Nähere Informationen zur Studie von 2006
Nähere Informationen zur Studie von 2011 


Was geschieht bei grenzüberschreitenden Fusionen?

Im Oktober 2005 verabschiedete der Ministerrat der EU eine Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, die "Fusionsrichtlinie". Sie regelt auch die Auswirkungen von Unternehmensfusionen auf die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichts- oder Verwaltungsrat, wobei sie sich stark an der Systematik der Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) orientiert. Bereits am 29. Dezember 2006 ist das Umsetzungsgesetz zur Fusionsrichtlinie in Deutschland in Kraft getreten. Damit hat der deutsche Gesetzgeber einen Rahmen zum Erhalt von Mitbestimmungsrechten im Fall von grenzüberschreitenden Fusionen geschaffen. Die Fusionsrichtlinie wurde im Juli 2017 Teil einer umfassenderen EU-Richtlinie zum Gesellschaftsrecht.

Die Richtlinie zum Gesellschaftsrecht im Wortlaut
Das deutsche Umsetzungsgesetz im Wortlaut
Hintergrundbericht zur Mitbestimmung in der Fusionsrichtlinie
Weitere Informationen zur Fusionsrichtlinie


Erste Beteiligungsvereinbarungen auf Grundlage der Fusionsrichtlinie

Im Dezember 2008 wurde für die Versicherungsgesellschaft Münchener Rück die europaweit allererste Vereinbarung über die Bildung eines Aufsichtsrates mit Arbeitnehmerbeteiligung auf Grundlage der EU-Fusionsrichtlinie unterzeichnet. Der Aufsichtsrat besteht wie zuvor aus 20 Mitgliedern, davon sind zehn Arbeitnehmervertreter (einer aus Spanien, alle anderen aus Deutschland). Im Januar 2010 wurde dann für den Fertigmenü-Hersteller Apetito ebenfalls eine Vereinbarung auf Grundlage der Fusionsrichtlinie geschlossen. Das Familienunternehmen mit Sitz in Rheine hat in Deutschland 1.978 Arbeitnehmer und konnte damit die Bildung eines paritätischen Aufsichtsrates vermeiden. Es bleibt auch bei wachsender Belegschaft bei der bisherigen Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer.

Bericht über die Münchener Rück
Bericht über Apetito


Der Gesundheitskonzern Fresenius nutzte im Januar 2011 die Fusionsrichtlinie, um den Aufsichtsrat bei der Rückumwandlung von einer SE in eine deutsche KG nicht vergrößern zu müssen.

Bericht über Fresenius


Europäischer Gerichtshof erlaubt reine Briefkastenfirmen

Im Oktober 2017 entschied der Europäische Gerichtshof im Fall des polnischen Unternehmens Polbud, dass die Verlegung des (juristischen) Firmensitzes in ein anderes EU-Land auch ohne eine Verlagerung der Geschäftstätigkeit oder der Verwaltung möglich ist.

Bericht über das Polbud-Urteil

Aktuelle Berichte zur Flucht aus der Mitbestimmung:

Mitbestimmungsflucht erreicht den DAX
Bericht in den BR-News des ifb
Hintergrundbericht in den EBR-News

 

Diskussion im Europäischen Parlament:

Entschließung "Demokratie am Arbeitsplatz"

 

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Zusammensetzung des Aufsichtsrats bei SAP

 

Beispiele von kürzlich geschlossenen
SE-Beteiligungsvereinbarungen:
(nationales Recht in Klammern)

adesso (Deutschland)
Atos (Frankreich)
Bickhardt Bau (Deutschland)
Brenntag (Deutschland)
Bolloré (Frankreich)
Cariad (Deutschland)
Dehn (Deutschland)
Deutsche Telekom Services Europe
     (Deutschland)
Elmos Semiconductor (Deutschland)
Eppendorf (Deutschland))
Flix (Deutschland)
iwis (Deutschland)
JCDecaux (Frankreich)
Jost Werke (Deutschland)
J.P. Morgan (Deutschland)
Lindner (Deutschland)
MAN Truck & Bus (Deutschland)
Müller - Die lila Logistik (Deutschland)
Pepperl+Fuchs (Deutschland)
Peri (Deutschland)
PowerCo (Deutschland)
Reply (Deutschland)
Ringmetall (Deutschland)
Sievert (Deutschland)
team (Deutschland)
TeamViewer (Deutschland)
Tier Mobility (Deutschland)
umlaut (Deutschland)
Valeo (Frankreich)
Viessmann Climate Solutions (Deutschland)
Vivendi (Frankreich)
Westwing (Deutschland)

besonders gute Vereinbarung

 

Beispiele einer kürzlich verhandelten
EBR-Vereinbarung nach dem Wechsel
vom SE- zum EBR-Recht:
(nationales Recht in Klammern)

Coty (Vereinigtes Königreich)
KWS Saat (Deutschland)

 

Beispiele einer kürzlich verhandelten
SE-Vereinbarung nach dem Wechsel
vom EBR- zum SE-Recht:
(nationales Recht in Klammern)

B. Braun Melsungen (Deutschland)
Edenred (Frankreich)
Erwin Hymer Group (Deutschland)
Faurecia (Frankreich)
Korian (Frankreich)
MAN Truck & Bus (Deutschland)
Total (Frankreich)
Traton (Deutschland)

 

Beispiele einer SE-Umwandlung ohne SE-Beteiligungsvereinbarung:

SAF-Holland (Luxemburg)
Tesla Manufacturing Brandenburg
     (Deutschland)
Wirthwein (Deutschland)

 

Beispiele für die deutsche Besonderheit einer
SE & Co. KGaA:

CompuGroup Medical (Deutschland)
KWS Saat (Deutschland)
Ottobock (Deutschland)

 

Die Rechtsform der SE in der deutschen Energiewirtschaft:

siehe Bericht

 

Zahlen zur Entwicklung der SE-Landschaft:

siehe Bericht (März 2017)
siehe Datenblatt (Dezember 2021)

 

Laufende Gerichtsverfahren zur Mitbestimmungsflucht:

Brose Fahrzeugteile
Olympus
weitere Beispiele

 

Mitbestimmung auf Basis der EU-Verschmelzungsrichtlinie:

RHI Magnesita


Beispiele unserer SE-Schulungen:

Aunde Group
Axel Springer
Busch
Eppendorf
Fuchs Petrolub
GK Software
Köster
KWS Saat
ProSiebenSat.1 Media
tesa
Tom Tailor

 

   EWC Academy GmbH - Rödingsmarkt 52 - 20459 Hamburg

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